Das Aikido der Kommunikation ist keine mentale Wortakrobatik. Ähnlich wie in der Kampfkunst fängst du im Aikido der Kommunikation einen “gegnerischen Angriff ” ab und leitest ihn auf eine Weise um, die niemanden verletzt. So können Standpunkte vertreten und gemeinsam gute Lösungen gefunden werden. Durch diese Art des Redens bringst du mehr Achtsamkeit und Klugheit in den Austausch mit anderen.

Kannst du dich an eine Situation erinnern, wo du verbal attackiert wurdest? Wie hast du dich gefühlt? Wie hast du reagiert? Und was waren die Folgen?

Wenn uns jemand mit Worten angreift, versetzt uns das unter Stress. Unsere instinktive Neigung besteht dann meist im “Zurückschlagen”. Wenn das auch deine Reaktion war, hast du in der Auseinandersetzung mit dem Kontrahenten vermutlich letztlich nicht bekommen, was du wolltest und brauchtest.

Durch das Aikido der Kommunikation lernen wir, für uns einzustehen, ohne dazu einen anderen verletzen zu müssen.

Aikido: Kampfkunst als Vorbild für achtsame Kommunikation

Wie kann Kampfsport ein Vorbild für gewaltfreie, achtsame Kommunikation sein? Ein Blick auf das Wesen von Aikido erklärt das. Aikido ist eine defensive japanische Kampfkunst. Es geht hier also nicht um Kampf oder Sieg, sondern darum, sich zu verteidigen – und zwar auf eine Weise, die den anderen (und einen selbst) nicht verletzt. Die Taktik besteht darin, die Energie des gegnerischen Angriffs aufzufangen und umzuleiten.

Der Kampf besteht darin, den Kampf zu vermeiden

Frei übersetzt bedeutet der Begriff Aikido soviel wie “Weg der Harmonie im Zusammenspiel mit Energie”. Der Angriff wird nicht durch Widerstand abgeblockt, sondern durch eine Umwandlung des Schwungs kontrolliert. Man könnte sagen: Der Kampf besteht darin, den Kampf zu vermeiden. Denn Kämpfen verschleißt unnötig Ressourcen auf beiden Seiten.

Es sind vor allem zwei Basisbewegungen, die das bewirken: Eintreten (irimi) und Umlenken (tenkan). Durch diese Bewegungen tritt der Angegriffene aus der Angriffslinie des Gegners heraus und lenkt die Kraft des Aggressors so um, dass beide Kräfte harmonisch zusammenwirken.

Aikido der Kommunikation - Doris Kirch

Aikido der Kommunikation ist achtsame Kommunikation

Eine passende Metaphorik für gewaltfreies Kommunizieren

Diese friedliche Grundgesinnung prädestiniert das Konzept des Aikido geradezu als Grundlage für die Praxis einer mitfühlenden, achtsamen Kommunikation. Denn sie ermöglicht uns, in schwierigen Gesprächssituationen nicht in reaktiven unbewussten Verhaltensweisen zu versinken, sondern mit unseren Gefühlen, Werten und Zielen verbunden zu bleiben.

Auf diese Weise können wir unsere Interaktionen mit anderen selbstbestimmt steuern, statt Spielball unserer eigenen Reaktiviät zu sein.

Kommunikation mit dir selbst: Lese hier mehr über achtsames Schreiben als Weg →

Was bewirkt Aikido in der Kommunikation?

Wenn wir die Kraft eines Angriffs aufnehmen und umwandeln, führt das beim Aggressor zu einer gewissen Irritation. Er gerät aus dem Gleichgewicht, weil wir nicht so reagieren, wie er es erwartet hat. In diesem Moment haben wir den klassischen Teufelskreis von Angriff und Verteidigung durchbrochen und es öffnet sich ein Raum, in dem etwas Neues geschehen kann.

Man greife an als Meer, wenn der Gegner den Berg erwartet, und erwartet er das Meer, sei man ihm der Berg.

Miyamoto Musashi, Samurai (1584-1645)

Angriff und Verteidigung führen selten zu wirklichem Frieden und zu Ergebnissen, die beide Seiten zufriedenstellen. Das Aikido der Kommunikation kann uns davor bewahren, uns durch unbewusste Reaktionen in einer Situation wiederzufinden, die wir gar nicht haben wollten.

Statt dessen wird die gegnerische Energie auf eine Weise umgewandelt, die den Konflikt beruhigt und verhindert, das jemandem ein Leid zugefügt wird.

Aikido der Kommunikation - Achtsame Kommunikation

Aikido der Kommunikation hilft, in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf und Selbstbestimmtheit zu bewahren.

Was ist Aikido der Kommunikation?

Diese Art zu kommunizieren ist keine Form von “schöner reden”, keine Mentaltechnik und auch keine ausgefeilte Wortakrobatik. Es geht nicht darum, im Kopf Strategien zu entwickeln, um andere zu manipulieren. Ganz im Gegenteil. Aikido der Kommunikation ist eine innere Haltung, die respektiert, dass uns ein Mensch gegenübersteht, der – genau wie wir – Gefühle, Bedürfnisse und Absichten hat.

Wir können Aikido der Kommunikation nur dann praktizieren, wenn uns das Anliegen des anderen ebenso wichtig ist, wie das eigene.

Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

Im Gegensatz zum aggressiven oder passiv-aggressiven Kommunikationsverhalten, greifen wir im Aikido unser Gegenüber nicht an. Aber wir flüchten auch nicht. Statt dessen stellen wir uns der Situation und gestalten sie bewusst – zum Wohle aller Beteiligten!

Das Prinzip des Aikido in der Kommunikation umsetzen

Diese Prinzipien kennzeichnen das Aikido der Kommunikation:

  • Aufmerksamkeit auf sich selbst richten
  • Sich auf den anderen einstellen
  • Gemeinsamkeiten finden
  • Ins “wir” umlenken
  • Eine Lösung finden

Aufmerksamkeit auf sich selbst richten

Von jemandem verbal angegriffen zu werden, versetzt uns automatisch in den Stress-Modus. Wenn uns dieser Modus übermannt, reagieren wir instinktgetrieben. Wir werden aggressiv, machen uns aus dem Staub oder versuchen, das Ganze herunterzuspielen oder zu ignorieren.

Im Stress-Modus unterbindet unser Überlebenssystem die Zugänge zu den intelligenteren Denkbereichen im Gehirn. Um klar denken zu können ist es wichtig, wieder mit uns in Kontakt zu kommen. Dafür ist der Körper hilfreich, denn er ist ein ausgezeichneter Stressdetektor.

Wenn eine Gesprächssituation schwierig wird oder wir uns in die Enge getrieben fühlen, bringen wir die Aufmerksamkeit in den Körper. Auf achtsame Weise, also nicht wertend, registrieren wir, wie unser Herz rast, dass unsere Hände schwitzig sind, Enge im Hals oder wo sich Muskeln schmerzhaft verkrampfen.

Aikido der Kommunikation | Doris Kirch

Klarheit über sich selbst zu haben, ist eine stabile Basis, um sich seinem Gegenüber öffnen zu können.

Aikido der Kommunikation befriedet aufgewühlte Gedanken und Gefühle

Indem wir die Aufmerksamkeit auf uns selbst richten, wird uns bewusst, dass wir gerade wütend und verletzt sind. Das Erkennen des eigenen Leides ist die Voraussetzung dafür, mitfühlend mit uns selbst sein zu können, weil wir gerade in dieser unangenehmen Situation stecken. Das befriedet schon einmal uns selbst.

Sich dabei im Atem zu verankern, beruhigt aufgewühlte Gedanken und Gefühle, und es verhindert ein Abdriften in unbewusste automatische Reaktionen. Zudem gibt dieser “Switch” im Bewusstsein uns die Kraft und die Klarheit, die es braucht, uns dem anderen offen, mitfühlend und geduldig zuwenden zu können.

Wenn ich anderen nicht gut genug zuhöre, liegt das daran, dass ich nicht genug zuhöre, was in mir selbst vor sich geht.

Marshall B. Rosenberg

Sich in den anderen hineinversetzen

Im Falle einer Konfrontation sehen wir meistens nur die eigene Position. Hilfreich ist das nicht. Und realistisch auch nicht. Deshalb richten wir bei diesem Aspekt unsere Aufmerksamkeit nun auf den anderen. Unsere Situation und unser Anliegen kennen wir ja. Jetzt versuchen wir, die Sache auch mit den Augen des anderen zu sehen.

Lerne die Situation, in der du dich befindest, insgesamt zu betrachten.

Miyamoto Musashi

Manchmal ist das schwierig. Dann können wir nachfragen. Zum Beispiel: “Ich sehe, dass du wütend bist, aber ich verstehe nicht so richtig, warum. Möchtest du mir sagen, warum du so verärgert bist?” (Wir müssen solche Fragen übrigens nicht unbedingt laut aussprechen. Manchmal hilft es schon, sich selbst im Stillen zu fragen, weshalb der andere gerade auf “hundertachtzig” ist).

Achtsame Kommunikation | Aikido der Kommunikation

Dein Ärger verfliegt, sobald du den anderen richtig verstanden hast.

Sieht unser Gesprächspartner, dass wir ihm wirklich zuhören und uns ernsthaft darum bemühen, ihn zu verstehen, wird das seinen Ärger besänftigen. Aber was noch wesentlicher ist: Wenn wir die Sicht unseres Gegenüber verstanden haben, können wir zustimmen: “Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wäre ich auch sauer.”

Gemeinsamkeiten finden

Im nächsten Schritt geht es darum, sich auf Gemeinsamkeiten besinnen, die darauf ausgerichtet sind, in die gleiche Richtung zu blicken. Zum Beispiel: “Im Grunde wollen wir doch beide die beste Schulausbildung für unsere Kinder” oder “Auch wenn unsere Herangehensweisen völlig unterschiedlich sind, geht es uns doch beiden darum, die Umsätze zu steigern.”

Ins wir umlenken

Ins “wir” umzulenken setzt voraus, dass wir ein Interesse an einer Lösung haben, die für beide Parteien akzeptabel ist. Es setzt auch Kompromissbereitschaft voraus. Beiderseits. Ist diese Voraussetzung gegeben, kann über Lösungen und Wege nachgedacht werden, die für alle Beteiligten zufriedenstellend sind.

“Wir sind beide unzufrieden mit dieser Situation. Was können wir gemeinsam tun, um sie auf eine gute Weise zu lösen?”

Eine Lösung finden

Wir sollten uns dabei bewusst sein, dass es nicht für jede Situation eine Lösung gibt, die für beide Seiten hundertprozentig zufriedenstellend ist. Eine Lösung zu finden, erfordert die Offenheit, sich auch auf einen akzeptablen Kompromiss einzulassen – der vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erneut diskutiert werden kann.

Eine Lösung kann auch darin bestehen, festzustellen, dass es im Moment gar keine Lösung gibt. Manchmal kommt man einfach nicht auf einen Nenner. Machmal sind Dinge einfach vertrackt. Dann gibt es immer noch die Möglichkeit, den Status quo zunächst so stehenzulassen, wie er ist.

“Es ist, wie es ist”,
ist ein hilfreiches Mantra für Situationen, die wir nicht ändern können.

Doris Kirch

Beispiel für ein gelungenes Kommunikations-Aikido

Vor einiger Zeit brachte die amerikanische Firma Honey Maid einen Werbe-Clip für ihre Cracker heraus. Zu sehen sind glückliche Eltern mit ihren Kindern, die zusammen sind und die Cracker dieser Marke essen. Der Slogan lautet “Egal wie die Dinge sich ändern, was uns gesund hält, ändert sich nie.”

Das Besondere sind die Eltern, die im Clip gezeigt werden: Ein homosexuelles Paar, ein gemischt-rassiges Paar, ein tätowierter Elternteil, eine Militärfamilie. Diese Werbung gefiel nicht jedem: Honey-Maid erhielt viele hasserfüllte und aggressive E-Mails.

Rolle rückwärts: Wenn die Antwort auf Hass Liebe ist

Eine unbedachte Reaktion hätte sein können, das zu ignorieren und so zu tun, als wäre nichts passiert (passiv). Das Unternehmen hätte auch eine mehr oder weniger verärgerte Gegendarstellung veröffentlichen und seinen Standpunkt verteidigen können (aggressiv). Aber das wollten sie beides nicht. Statt dessen entschied sich Honey Maid für ein Aikido der Kommunikation.

Sie beauftragten zwei Künstlerinnen. Die druckten alle Hass-Mails aus und rollten die Ausdrucke mit dem Schriftzug nach innen auf. Dann klebten sie die Rollen zusammen und formten eine schöne Skulptur mit dem Wort Liebe daraus.

Anschließend druckten sie alle positiven Reaktionen aus, (das waren etwas zehnmal soviel wie die negativen) und rollten sie mit der bedruckten Seite nach außen zusammen. Dann klebten sie diese Rollen “umarmend” um die Hass-Mails herum zu einem großen, schönen und kraftvollen Kunstwerk.

Aikido der Kommunikation als unternehmerischer Erfolgsfaktor

Und das Ergebnis? Der Werbe-Clip wurde auf Facebook und anderen Social Media sofort viral. Mittlerweile haben über acht Millionen Menschen, die das Werbe-Video von Honey-Maid angeschaut.

Das hatten die Hass-Mailer nicht erwartet. Was für ein Erfolg für das Unternehmen durch diese ebenso kluge wie gewaltfreie Antwort auf die Kundenreaktionen! Und was für ein gelungenes Beispiel für ein perfektes Aikido der Kommunikation.

Der Werbe-Clip von Honey Maid:

Der Video-Clip über die Aktion mit den E-Mails:

Wie du Aikido der Kommunikation in dein Leben integrierst

Das hier Niedergeschriebene nur mit den Augen zu betrachten, verhilft noch nicht zum Weg der Kampfkunst; man muss es sich aneignen, um es zu begreifen, muss es, nicht in Nachäfferei von Halbverstandenem, mit der ganzen Kraft seines Herzens gleichsam für sich entdecken, um es dann für immer zu besitzen.

Musashi Miyamoto

Der Samurai Musashi hat bereits vor über fünfhundert Jahren erkannt, dass Lesen allein nicht ausreicht, um bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln. Ebensowenig, wie das Lesen einer Speisekarte satt macht.

Wir konnten sehen, dass Aikido der Kommunikation keine Mentaltechnik ist, sondern einer innern Haltung entspringt. Solch eine Haltung kann durch ein systematisches Achtsamkeitstraining über einen längeren Zeitraum entwickelt werden. Sie ist nichts, das “gelernt” werden kann, sondern eher das Resultat der Achtsamkeitspraxis.

© Doris Kirch, 2019