Gehmeditation ist eine vorzügliche Methode, um den Geist zur Ruhe zu bringen. Ihr Vorteil: Sie kann jederzeit und überall praktiziert werden. Erfahre, wie das achtsame Gehen zu deiner Lieblings-Achtsamkeitsübung im Alltag wird.

Was ist Gehmeditation?

Das achtsame Gehen gehört zu den formalen Meditationen der buddhistischen Achtsamkeitspraxis. Erstaunlicherweise wird der Wert der Gehmeditation oft unterschätzt. Viele glauben, Gehmeditation wäre ein minderwertiger Ersatz für die Sitzmeditation – aber das ist nicht der Fall. Es gibt buddhistische Traditionen, bei denen der Schwerpunkt sogar auf dem Gehen statt auf dem Sitzen liegt.

Gehmeditation

Die Gehmeditation ist eine formale Achtsamkeitsübung aus der buddhistischen Tradition.

Gehmeditation: Die optimale Achtsamkeitsmeditation im Alltag

Wenn wir Gehmeditation praktizieren, tun wir eigentlich nichts Besonderes. Wir tun etwas, das wir ohnehin ständig tun: gehen und atmen. Damit steht uns diese Meditationsform zu jeder Zeit und an jedem Ort zur Verfügung. Achtsames Gehen ist nicht an irgendwelche Rahmenbedingungen oder Voraussetzungen gebunden. Das macht es zur geeigneten Achtsamkeitsmeditation für den Alltag.

Wann immer wir aufgewühlt sind, können wir die Gehmeditation nutzen, um uns wieder in die Balance zu bringen – ohne dafür zusätzliche Zeit investieren zu müssen.

Beim achtsamen Gehen ist der Weg das Ziel

Meistens sind wir zielgerichtet von A nach B unterwegs. Gehen ist für uns Mittel zum Zweck und wir sind uns dieser Tätigkeit häufig gar nicht bewusst. Achtlos marschieren wir vor uns hin und oft sind unsere Schritte mit Gedanken und Sorgen belastet.

Beim achtsamen Gehen lassen wir die Gedanken und übrigen Ablenkungen in den Hintergrund treten. Stattdessen lenken wir die Aufmerksamkeit bewusst und vollständig auf die Tätigkeiten des Gehens und des Atmens.

Indem wir das tun, kommen wir im Hier und Jetzt an und sind präsent im gegenwärtigen Moment. Denn der Körper hat nur eine Zeit: jetzt! und nur einen Ort: hier! Wenn der Geist auf diese Weise fokussiert ist, kann er sich nicht mehr in sorgenvollen Gedanken über Vergangenes oder Zukünftiges verlieren.

Schaffe dir durch Gehmeditation Ruhe-Oasen im Alltag

Genieße das befreiende Gefühl, einmal keiner Sache hinterherzuhetzen. Versuche stattdessen, dich in jeden einzelnen Schritt hineinzuentspannen. Mache den Weg selbst zum Ziel. Jeder Schritt, den du bewusst gehst, beruhigt die Gedanken, die dich sonst so erschöpfen und auslaugen. Die Resultate sind innerer Frieden, Klarheit und Stabilität.

So kannst du dir durch die Gehmeditation jederzeit mitten im Alltag einen inneren Raum schaffen, der es dir ermöglicht, in deine Mitte zu kommen. Außerdem wirst du erfahren, was es bedeutet, die Qualität des Augenblicks zu genießen.

Gehmeditation - Anleitung

Die Hetze des Alltags für ein paar achtsame Schritte unterbrechen.

So praktizierst du Gehmeditation

Die wesentlichen Bestandteile der Gehmeditation sind Achtsamkeit, Gehen und Atmen.

Achtsamkeit

Achtsamkeit ist die Basis, um die Aufmerksamkeit auf den Aktivitäten des Gehens und Atmens zu halten. Sie ist eine besondere Form von Aufmerksamkeit, ein klarer Bewusstseinszustand, der es erlaubt, jede innere und äußere Erfahrung im gegenwärtigen Moment vorurteilsfrei wahrzunehmen.

Gehen

So kannst du vorgehen, um Gehmeditation zu lernen:

  • Den Geist stabilisieren
    Ein Geist, der nicht an Meditation gewöhnt ist, neigt sehr dazu, sich ablenken zu lassen. Deshalb sollte er zunächst einmal stabilisiert werden. Nutze dafür den relativ ablenkungsfreien Raum deines Zuhauses, um mit deinen ersten meditativen Schritten zu beginnen.
    Wenn du diese Stabilisierung des Geistes auslässt, wird es dir beim späteren Gehen im Alltag schwer fallen, fokussiert zu bleiben.
  • Zu Beginn: Stoppen und innehalten
    Bevor du den ersten Schritt machst, halte kurz inne und fühle in den Körper hinein. Dieses kurzes Innehalten markiert den Wendepunkt zwischen dem erschöpfenden Alltags-Modus des Tuns und dem regenerierenden Modus des Seins. Dann bringe die Aufmerksamkeit zur Atmung und zum Kontakt der Füße zum Boden.
  • Mit wenigen Schritten beginnen
    Starte deine Übung der Gehmeditation nicht gleich mit einem Marathon. Fange besser mit wenigen Schritten an: Gehe 10 Schritte langsam und konzentriert. Sei dir dabei jeder Empfindung in den Füßen und des Atems bewusst. Stoppe dann und drehe dich achtsam um. Dann gehst du wieder zehn Schritte und so weiter. Im Laufe der nächsten Tage kannst du die Gehstrecke allmählich erweitern.
  • Gehen in der Natur und im Alltag
    Hast du deinen Geist auf diese Weise stabilisiert, kannst du deine Gehmeditationen in der Natur fortsetzen. Und irgendwann wird es dir sogar im Alltagsgetümmel unter Menschen gelingen, die Achtsamkeit beim Gehen zu bewahren.
Gehmeditation Zitat

Gehmeditation ist nicht nur Übung sondern auch eine wunderbare sinnliche Erfahrung.

  • Das Tempo in der Gehmeditation
    Das Tempo des Gehens spielt keine Rolle. Allerdings ist es empfehlenswert, mit langsamem Gehen zu beginnen. Langsam gehen bedeutet nicht, tonuslos zu schlurfen. Du solltest nicht auf eine gezierte Weise gehen, sondern dich ganz natürlich bewegen. So wird anderen nicht einmal auffallen, dass du Gehmeditation praktizierst; sie werden dich eher für einen in sich gekehrten Spaziergänger halten.
  • Achtsames Gehen am Morgen bringt Gelassenheit in den ganzen Tag
    Wenn du gleich am Morgen gehst, kannst du die innere Ruhe und Stabilität mit in den Tag nehmen. Du wirst feststellen, dass du den ganzen Tag über von dieser ruhigen Qualität profitierst.
  • Barfußgehen genießen
    Geh barfuß, wenn es möglich ist. So kannst du die Kraft der Erde besser in dich aufnehmen und das „Geerdetsein“ deutlicher spüren. Stell dir beim Gehen vor, dass du die Festigkeit und die Beständigkeit der Erde in dich aufnimmst.
Gehmeditation Doris Kirch Zitat

In der Gehmeditation können wir den Frieden des gegenwärtigen Moments erfahren.

  • Mit Ablenkungen während der Gehmeditation umgehen
    Wenn während des Gehens etwas im Außen deine Aufmerksamkeit auf sich zieht, dann bleib stehen, betrachte es. Während du stehst, sei dir bewusst, was du siehst. Parallel dazu bleibst du, quasi im Hintergrund, mit der Wahrnehmung deines Atems verbunden und mit der Empfindung der Füße im Kontakt zum Boden. Gehe weiter, sobald du deine Aufmerksamkeit wieder vollständig auf das achtsame Gehen richten kannst.
  • Inspiration des “Vaters der Gehmeditation”, Thich Nhat Hanh
    Der buddhistische Lehrer Thich Nhat Hanh empfiehlt, dass wir aufrecht und würdevoll wie ein Kaiser gehen sollten. Er sagt, wir können uns beim Gehen vorstellen, dass dort, wo unsere Füße die Erde berührt haben, Blumen wachsen.
  • Im Alltag jede Möglichkeit zum achtsamen Gehen nutzen
    Praktiziere Gehmeditation im Supermarkt, zwischen zwei Meetings, an Haltestellen oder am Flughafen. Plane immer genügend Zeit für das meditative Gehen ein, damit du nicht unter Druck gerätst. Denke immer daran, dass es vor allem darum geht, im gegenwärtigen Moment anzukommen.

Atmen

Das Gehen sollte mit dem Rhythmus des Atems verbunden werden. Lasse deine Füße dem Atem folgen – nicht umgekehrt. Wenn du einen besonderen Fokus auf die Ausatmung legst, stärkst du ganz nebenbei noch deine Gesundheit. Denn auf diese Weise kannst du die Reste verbrauchter Luft besser aus den Lungen ausatmen.

Wenn deine Aufmerksamkeit abschweift – was zweifellos passieren wird – kannst du sie in jedem Moment zur Empfindung des Atems und der Füße zurückbringen.

Gehmeditation - Achtsamkeit

Stell dir vor, es würden Blumen blühen, wo deine Füße die Erde berührt haben.

Achtsames Gehen und inneres Lächeln verbinden

Es gibt noch einen vierten Aspekt, der den drei vorherigen hinzugefügt werden kann: Das Lächeln.

In wissenschaftlichen Untersuchungen wurde festgestellt, dass fröhlichmachende Botenstoffe im Körper ausgeschüttet werden, wenn wir das Gesicht zu einem Lächeln verziehen. Wir müssen dabei nicht einmal wirklich fröhlich sein. Die aktivierten Muskeln für sich genommen fördern einen freudevolleren inneren Zustand.

Lächle deshalb auch bei der Geh-Meditation. Du kannst ein Lächeln ganz natürlich aus dir selbst heraus entstehen lassen. Vielleicht, indem du es aus einer tiefen Dankbarkeit für die dich umgebenden Dinge entspringen lässt. Besonders gut geht das in der Natur:

Lächle der Sonne zu, die durch die Blätter fällt, den Bäumen mit ihren majestätischen Kronen, den Blumen am Wegesrand, dem Duft des Waldes und den Vögeln, die dich mit ihrem Lied erfreuen.

Es gibt vieles, dem du dein Lächeln schenken kannst. Vielleicht lächelst du auch dir selbst zu, weil du gerade dabei bist, den aufgewühlten See deines Inneren zur Ruhe zu bringen.

Auch in der Geh-Meditation macht Übung den Meister

Zu Anfang fühlt sich achtsames Gehen manchmal etwas unsicher und wackelig an, so als würde man nach langer Bettlägerigkeit die ersten Schritte  machen. Das ist ganz natürlich. Bleib dran und du wirst sehen: Mit einiger Übung gehst du geschmeidig wie ein Tiger.

Wenn du dich auf die Gehmeditation einlässt, wirst du bald feststellen, dass du sie nicht mehr missen möchtest.

Neulich bei der Gehmeditation

Zum Abschluss dieses Themas eine lustige Begebenheit, die sich vor kurzem im Rahmen unserer Fachausbildung zum Achtsamkeitstrainer ereignet hat.

Eine unserer Teilnehmerinnen leitete eine Gruppe zur Gehmeditation an. Sie wählte einen Weg durch einen Park, der an einem Kinderspielplatz vorbeiführt. Eines der spielenden Kinder hielt verwundert inne, als es uns erblickte. Es entwickelte sich der folgende Dialog zwischen dem kleinen Jungen und seinem Vater:

“Papa, warum laufen da so viele?” “Die laufen eben.”
“Papa, warum gehen die so langsam?” “Weil die Zeit haben.”
“Die gehen ja alle so langsam, Papa.”
“Mal andersherum gefragt: warum immer hetzen?”
“Da ist ja auch ein Mann dabei, ich dachte, das machen nur Frauen.”
Auf dem Rückweg sah uns der kleine Junge wieder und der Dialog setzte sich fort:
“Das find ich aber doof, dass die so langsam laufen.”
Ein Jogger überholte uns.
“Papa, aber der schneller läuft, der sieht cooler aus.”
Eine Teilnehmerin geht etwas schneller und überholt allmählich eine andere.
“Papa, warum ist eine schneller?”
“Das nennt man Kopf-an-Kopf-Rennen.”

Thich Nhat Hanh empfiehlt, bei der Gehmeditation ein Lächeln auf dem Gesicht zu haben. Nach diesem Dialog fiel uns das besonders leicht :o)

Möge jeder deiner Schritte dich zu dir selbst führen.

© Doris Kirch | 2021