Nirgends können wir so viel über unsere unbewussten Verhaltensmuster lernen, wie im Alltag. So brachte mir die Kombination aus Achtsamkeit und Blauschimmelkäse kürzlich die Erkenntnis eines inneren Programms. Ein pragmatisches Beispiel für das Aufspüren und Auflösen für jedes “Käse-Programm”, das in den Tiefen unseres Unterbewusstseins schlummert.

Ein „Käseprogramm“ aufzulösen, das hört sich zunächst einmal nicht sensationell an. Aber aus dem Geschehen lässt sich viel über die Funktionsweise des Geistes lernen.

Vor einigen Tagen war ich bei einer Freundin zum Frühstück eingeladen. Unter mehreren Käsesorten befand sich auch ein Stück Blauschimmelkäse, einen Käse, den ich noch nie gemocht habe. Ich spürte spontan eine ausgesprochene Abneigung in mir aufsteigen, ein inneres „Ähhhh“.

Indem ich diese Regung bewusst wahrnahm, fragte ich mich im gleichen Moment, woher diese Abneigung kommt. „Woher ‚weiß‘ ich, dass dieser Käse mir nicht schmeckt?“, dachte ich. „Was genau ist es eigentlich, das mir daran nicht schmeckt?“ Meine unvoreingenommene Herangehensweise hatte meine Neugiere geweckt.

Ich entschied mich, die Sache näher zu untersuchen und probierte ein kleines Stückchen und dann noch ein Stückchen. Und ich konnte einfach nichts finden, das ich nicht mochte. Im Gegenteil, die Käse schmeckte mir.

Unbewusste Verhaltensmuster entstehen in der Kindheit

Die Frage, wie dieses Verhaltensmuster der Abneigung in mir entstanden ist, führte zu inneren Bildern aus meiner Kindheit. Wie Kinder so sind, mochte auch ich nur Käse, der nicht nach Käse schmeckte und schon gar nicht roch – und Edelpilzkäse gehörte ganz klar nicht in diese Kategorie.

Hinzu kam die Bezeichnung meiner Eltern: „Schimmelkäse“, dessen Optik meinen, durch die Namensgebung bereits empfundenen Ekel, noch verstärkte.

Ein inneres Programm von „Schimmelkäse mag ich nicht“ war geboren! Über fünfzig Jahre habe ich diesen Käse gemieden, weil eine innere Stimme mir bei jedem Anblick einflüsterte: „Das magst du nicht!“

Wie du mit Abneigungen und schwierigen Emotionen umgehen kannst →

Unvoreingenommenheit und Anfängergeist in der Erfahrung des gegenwärigen Moments

Achtsamkeit und ihre Eigenschaft, den Dingen mit Unvoreingenommenheit und Anfängergeist zu begegnen, hat mich mit der Erfahrung des gegenwärtigen Moments in Berührung gebracht. Ich konnte feststellen, dass der Käse mir schmeckt. Das hat mich von einem Jahrzehnte in mir schlummernden inneren Verhaltensmuster befreit.

Es geht dabei nicht um Käse. Es geht um die Frage, wie viele „Sleeper“ dieser Art unbemerkt in uns wirken und unbewusst unser Handeln steuern – vor allem dort, wo es in unserem Leben von großer Bedeutung ist.

Achtsam unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen wahrzunehmen, kann uns dabei helfen, uns von solchen, uns unbemerkt steuernden Automatismen zu befreien.

© Doris Kirch | 2019