Flourishing bedeutet “erblühen” oder “entfalten”. Im Hinblick auf Blumen ist das Wort praktisch selbsterklärend. Aber was verbirgt sich dahinter, wenn es im Zusammenhang mit Psyche, Gesundheit und Lebensqualität verwendet wird? Erfahre, was Flourishing für dich bedeuten kann und wie du dich und dein Leben durch Achtsamkeit zum Erblühen bringst.

Lange bevor das Wort Flourishing in psychologischen Zusammenhängen verwendet wurde, war es mir als Gefühl vertraut. Ein Gefühl, dass ich immer hatte (und immer noch habe), wenn ich Texte des Dichters Hermann Hesse lese. Ich sagte einmal über Hesse: “Seine Worte gehen in mir auf, wie Blumen”.

Ja, das ist es, was ich wahrnehme, wenn ich Hesse lese: Dann entfalten sich in mir heilsame Gedanken, emotionale Berührtheit, körperliches Wohlbehagen und eine tiefe spirituelle Berührtheit.

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Flourishing und Achtsamkeit: Zum Leben erblühen

Flourishing in der Psychologie

Anfang der 2000er Jahre begegnete mir in einer psychologischen Vorlesung erstmals der Begriff Flourishing im Zusammenhang mit Psychologie. Meines Wissens brachte ihn die Psychologie-Professorin Barbara Fredrickson erstmals in den psychologischen Kontext ein.

Fredrickson forscht im Bereich Positive Emotionen und Resilienz. Im Grunde geht sie dabei der schlichten Frage nach, was glücklichere Menschen ausmacht. Was sind die Bedingungen dafür, unser vollständiges Potenzial zu verwirklichen, uns zufrieden und erfolgreich zu fühlen, zufriedenstellende Beziehungen zu haben, Sinn im Leben zu empfinden und Krisen nicht nur zu meistern, sondern auch daran zu wachsen?

Und sie definierte mit “Languishing” das Gegenteil von Flourishing: eine defizitäre Lebenshaltung mit vermindertem energetischen Niveau, die durch Leere, Sinnlosigkeit und Unzulänglichkeit gekennzeichnet ist.

Barbara Fredrickson über positive Emotionen (engl.):

Flourishing als zentrales Konzept der Positiven Psychologie

Über Fachkreise hinaus bekannt wurde der Begriff Flourishing aber erst durch den Psychologen Martin Seligman, der Flourishing zum zentralen Konzept der Positiven Psychologie machte.

Seligman ist Mitbegründer der Positiven Psychologie. Diese Fachrichtung orientiert sich nicht am Pathologischen, Defizitären. Sie geht der Frage nach, was einen gesunden Menschen stärkt, damit es ihm noch besser geht und wie er ein Optimum an Gesundheit erreichen kann. Im Rahmen dieses Konzeptes werden mehrere Komponenten von Wohlbefinden zusammengefasst.

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit

Zum ganzheitlichen Verständnis sei hier angemerkt, dass die Definition von Gesundheit in der Positiven Psychologie weit über die Beschreibung von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit hinausgeht. In ihren Gesundheitsbegriff fließen zum Beispiel Lebenssinn, das Entwickeln eigener Stärken und persönliches Wachstum mit ein.

Indem diese Aspekte gefördert und kultiviert werden, entstehen positive Gefühle, die zu Flourishing führen, also zum Aufblühen des Menschen in seinem Leben.

Beeindruckend sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Psychologen Corey Keys, der die Fähigkeit des Flourish als eine Dimension jenseits der Achse von psychischer Gesundheit oder Krankheit definiert. Keys vertritt die Ansicht, dass auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung sich (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) weiterentwickeln und damit aufblühen können.

Mehr als Wohlbefinden

Flourishing wird auch als Wohlbefinden bezeichnet und in der Positiven Psychologie oft mit Glück gleichgesetzt. Auch hier ist wieder eine Begriffsdefinition nötig, denn unter Glück wird oft ein momentanes Glücksempfinden verstanden, das von äußeren Umständen abhängig ist.

Im Kontext von Flourishing und der Positiven Psychologie steht Glück jedoch nicht für solche kurzlebigen Stimmungslagen, sondern für den dauerhaften Zustand eines Wohlbefindens, der verschiedene Aspekte der Persönlichkeit und des Lebens umfasst.

Achtsamkeit und Flourishing

Wieso rücke ich den Begriff Flourishing in die Nähe von Achtsamkeit? Sicherlich nicht, weil ich glaube, dass die Praxis der Achtsamkeit durch ein weiteres Konzept “aufgepimpt” werden müsste. Es war vielmehr das ähnliche Ziel beider Ansätze.

Ein achtsames Gehirn ermöglicht uns, unser gesamtes menschliches Potenzial zu entwickeln. So beschreiben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Achtsamkeits-Basis-Trainings zum Beispiel, dass dieses Training einen entspannteren Zeitgenossen aus ihnen gemacht und ihre Selbstwirksamkeit erhöht hat. Sie gestalten ihre Beziehungen harmonischer, sind im Alltag weniger stressanfällig und haben das Gefühl, insgesamt sinnerfüllter zu leben.

Dass solche Auswirkungen Gesundheit und Wohlbefinden fördern, liegt auf der Hand. Sowohl die Achtsamkeitspraxis als auch das Flourishing-Konzept verfolgen das Ziel, Gesundheit, Wohlbefinden und Glück zu fördern.

Vom Konzept zur Lebensweise

Ich habe im Laufe meines Lebens zahlreiche wissenschaftliche Konzepte kennengelernt. In der Forschung gehört es ja quasi zum guten Ton, dass ein Professor aus den Untersuchungen seiner Mitarbeiter ein Konzept erarbeiten lässt, das anschließend mit seinem Namen versehen wird und in die Ruhmeshalle der Wissenschaftstheorien Einzug hält.

Mir persönlich sind solche Konzepte oft zu intellektualisiert, zu wenig alltagstauglich und bisweilen nicht nachhaltig genug. Deshalb interessieren mich solche Theorien mittlerweile eher am Rande. Meine volle Aufmerksamkeit hingegen haben pragmatische Ansätze, die eher “Lebensstile” als “Konzepte” sind – wie zum Beispiel die Praxis der Achtsamkeit.

Denn wie nützlich ist für dich zum Beispiel die wissenschaftliche Erkenntnis, dass (Zitat:) “im Idealfall die positiven Gefühle in einem Verhältnis von mindestens 3:1 höher sein sollten als die negativen”?

Das Wissen des Buddha auf dem Prüfstand

Besonders funny finde ich den Umstand, dass die Inhalte, Übungen und Erkenntnisse solcher Konzepte, wie auch im Fall von Flourishing, alles andere als neu sind. In den überlieferten buddhistischen Geistesschulungen zum Beispiel finden sich zahllose detaillierte Ausführungen des Buddha über die Funktionsweisen des Bewusstseins.

Hilfreich ist, dass diese Aussagen inzwischen wissenschaftlich erforscht werden. So muss niemand “glauben”, was ein meditierender Mann vor zweieinhalbtausend Jahren über Gehirn, Geist und die Gesetzmäßigkeiten des Lebens erzählt hat.

Zum Beispiel sagen die Wissenschaftler, dass für Flourishing eine harmonische Balance zwischen positiven und negativen Gefühlen wichtig ist. (Wobei wir in der Achtsamkeitspraxis eher von angenehmen und unangenehmen Gefühlen sprechen).

Achtsam erforschen wir unsere Empfindungen von Moment zu Moment. Wir trainieren, nicht gleich auf jede angenehme oder unangenehme Gefühlstönung anzuspringen – was zu einer Verringerung von Reaktivität führt.

Einfach gesagt: Wir erleben uns als entspannter, weil wir nicht mehr auf jeden Zug aufspringen, der an unserem Bahnhof hält.

Flourishing

“Herausgefunden”, was der Buddha schon wusste

Professorin Fredrickson hat herausgefunden, dass wir unter dem Einfluss von Dankbarkeit, Liebe und Neugier wacher, offener und aufnahmebereiter für unsere Umwelt sind.

Gut erkannt. Offen bleibt indes, wie wir es schaffen, im Alltag einen konkreten Nutzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen.

Die Achtsamkeitspraxis hat hier gute praktische Antworten. Fortlaufend ermuntert sie uns, uns unserem Erleben mit Neugier, Offenheit und Vorurteilsfreiheit zuzuwenden. Und indem wir die mitgefühlsfördernde Metta-Meditation praktizieren, kultivieren wir täglich Freundlichkeit (Liebe), Dankbarkeit und Freude.

Fredrickson betont die Bedeutung von angenehmen Kleinigkeiten im Alltag für das Flourishing. In der Achtsamkeitspraxis setzen wir das in jeder Minute unseres Lebens um, weil wir alle angenehmen (und natürlich ebenso alle unangenehmen) Ereignisse bewusst wahrnehmen.

Und die Professorin hat noch etwas “herausgefunden” (… was im Buddhismus bereits seit 2.500 Jahren gelehrt wird): “Flourisher” erreichen ihr gutes “Funktionsniveau” (Zitat) unter anderem dadurch, dass sie anderen helfen und dass sie meditieren.

Deshalb sind Meditation und Mitgefühlspraxis integrale Bestandteile der Achtsamkeitspraxis – und somit auch unseres Achtsamkeits-Basis-Trainings und unserer TARA Achtsamkeitstrainer-Ausbildung.

Zitat Flourishing

Zum Glücklicklichsein erblühen

Jeder von uns sehnt sich danach, glücklich zu sein. Aber weil das Thema allgemein so verzerrt dargestellt wird mit völlig u nrealistischen Ansprüchen und Erwartungen überfrachtet ist, führt es oft genau zum Gegenteil.Um zu einem authentischen und dauerhaften Glücklichsein zu gelangen, hat das Thema in unserem Achtsamkeits-Basis-Training einen besonderen Raum.

Auch die Positive Psychologie hat sich mit der Frage des Glücks beschäftigt. Martin Seligman definiert in seinem “Modell des authentischen Glücks” (das Kind muss ja einen Namen haben) drei Quellen von Glück.

(Sein Hinweis darauf, dass jeder Mensch diese Quellen auf seine ganz persönliche Weise definiert, trägt übrigens nicht zum Verständnis seines Modells bei).

Zusammengefasst geht es dabei um

  1. Wohlfühlglück (Glück, das durch körperliches Wohlbefinden entsteht)
  2. Glück durch Sinnhaftigkeit (Werteglück)
  3. Engagiertes Leben (bezieht sich auf das Flow-Konzept von Mihaly Csikszentmihalyi)

Auch hier werden die Parallelen zwischen Positiver Psychologie und Achtsamkeit deutlich. In der Achtsamkeitspraxis wird die Theorie lebendig, denn die beschriebenen Aspekte sind integraler Bestandteil eines achtsamen Lebens.

Vor allem das Flow-Konzept ist interessant. Der Psychologe Csikszentmihalyi beschreibt Flow als die optimale Erfahrung, als ein Glücksempfinden, das entsteht, wenn wir vollkommen in dem aufgehen, was wir gerade tun. Es gibt wohl kaum eine treffendere Bezeichnung für den Zustand des achtsamen Gewahrseins.

Flourishing your Mind & Life: Bring deinen Geist und dein Leben zum Erblühen

Damit ein Mensch erblühen kann, sagen die Wissenschaftler, braucht es einige Voraussetzungen, zum Beispiel

  • ein reiches Repertoire an Denk- und Handlungsstrategien
  • eine Erweiterung der persönlichen Ressourcen
  • Resilienz

Damit haben wir weitere Übereinstimmungen, die mich veranlassten, den Begriff Flourishing in die Nähe von Achtsamkeit zur rücken.

Achtsam zu sein bedeutet, wertfrei wahrzunehmen, was geschieht, während es geschieht. Indem wir unser Denken, Fühlen und Handeln im gegenwärtigen Moment erforschen, stoßen wir auch auf dysfunktionale Denk- und Fühlmuster und Verhaltensweisen, die unserem Glück im Wege stehen.

Indem wir diese Muster erkennen, können wir sie auflösen und situationsgerechter und im Einklang mit unseren wahren Gefühlen, Bedürfnissen und Werten handeln.

Diese Selbsterkenntnis und die daraus resulierenden neuen Umgehensweisen stellen eine Erweiterung der persönlichen Ressourcen dar, die die Selbstwirksamkeit – und damit die Resilienz (psychische Widerstandskraft) erhöhen.

Finde deinen persönlichen Weg, um deine Kraft zu entfalten

Die Achtsamkeitspraxis, die ihre Wurzeln in der buddhistischen Tradition hat, bietet dir eine Fülle von Möglichkeiten, das Potenzial deines Geistes, deines Herzens und deines Lebens zum Entfalten und Erblühen zu bringen.

Sie schreibt dir nicht vor, wie du das im einzelnen tun sollst. Aber sie zeigt dir den Weg, wie du das herausfindest.

Mögest du deinen Weg finden, die Kräfte deines Herzgeistes zum Erblühen zu bringen.

© Doris Kirch, 2022